Bitte lächeln. Ein Paar macht Fotos in Bangkok.

Insta-Girls und ihre Boyfriends

Selfies und Selfiesticks sind aus dem Reisealltag genauso wenig wegzudenken wie Insta-Girls und ihre Boyfriends. Da wird so oft auf den Auslöser gedrückt und werden so lange Anweisungen gegeben, bis Augenaufschlag, Haarsträhne, Outfit und die Sehenswürdigkeit im Hintergrund perfekt in Szene gesetzt sind. In Thailand ist mir dies besonders aufgefallen. Und ich habe mich gefragt, ob die Paare vor lauter Insta-Perfektionismus überhaupt mitbekommen, was um sie herum passiert.

Ko Sichang, Februar 2020 – Sie streicht das grün gepunktete Kleid glatt. Dreht sich. Dreht sich nochmal und kommt dabei dem Rand der Klippen über dem Meer gefährlich nah. Das Spiel beginnt von vorne: Sie dreht sich nach rechts, nach links, hält diesmal einen Zipfel des Kleides in der einen, ihren Strohhut in der anderen Hand. Lachend rennt die junge Frau auf ihren Freund zu, der mit dem Smartphone ein paar Meter entfernt steht, damit fotografiert hat, wie seine Freundin in der Abendsonne posiert. Sie schüttelt den Kopf, deutet auf das Display, bringt ihre Haare in Ordnung und läuft zurück auf ihren Posten am Rande der Klippen. Immer weiter nähert sich die Sonne dem Horizont. Das Paar hat mittlerweile die Position gewechselt, sitzt nun nebeneinander und macht Selfies. Ich frage mich, ob die beiden sehen, wie sich der Himmel in Orange, Gelb und Rot färbt, wie das Abendlicht das Meer in immer dunklerem Blau erscheinen lässt. Ob sie den Wind spüren auf ihrer Haut, das Salz des Meeres schmecken und ob sie das Rauschen der Wellen unter ihnen hören. Als schließlich in einem magischen Moment die Sonne den Horizont küsst, der Tag zur Nacht wird auf Ko Sichang, sind die beiden längst verschwunden.

Fotosession. Schon bevor die Sonne unterging, war dieses Paar verschwunden.
Fotosession. Schon bevor die Sonne unterging, war dieses Paar verschwunden.

Ich glaube, nein, ich bin davon überzeugt, dass Instagram und die Selfie-Kultur Reisen verändert haben. Da reiten Frauen in schneeweißen, engen Kleidern, mit großen Hüten und knallrot geschminkten Lippen auf stinkenden Kamelen bei 30 Grad in die staubige Sahara – erlebt 2018 in Marokko. Für mich klingt das ungefähr so logisch wie mit voller Taucherausrüstung den Kilimandscharo zu besteigen. In meiner vierköpfigen Tourgruppe durch Machu Picchu in Peru mussten wir 30 Minuten in der Schlange stehen, damit ein Paar – wie so viele andere auch – an der einen Plattform mit der Super-Aussicht ein Selfie machen konnte. In Chiang Rai hat eine Frau etwa fünf Minuten lang den einzigen Zugang zum weißen Tempel blockiert, damit niemand sonst auf ihrem Foto zu sehen war.

Pupsende Kamele in der Wüste

Sie alle können sagen, dass sie da gewesen sind. Können ihre Fotos in den sozialen Netzwerken posten, die aussehen, wie so viele andere auch – nur mit anderen Gesichtern, die vor dem Hintergrund in die Kamera grinsen. Sie waren „da“ – physisch, aber auch mental? Ich frage mich, ob sie die Magie gespürt haben, die all diese Orte ausmacht, und die von Ort zu Ort ganz unterschiedlich ist – oder ob sie das nur unter ihre Bilder schreiben, weil all diese Orte nunmal irgendwie magisch sein müssen. Ich frage mich, ob sie sich an das Gefühl erinnern können, wie es war, auf dem schaukelnden und pupsenden Kamel zu sitzen, ob sie den Sand im Gesicht gespürt haben oder nur das verwischte Make-up, ob sie auch dieses Kribbeln in der Magengegend und Gänsehaut hatten, als sie durch Machu Picchu gelaufen sind oder nur deshalb, weil sie der Welt endlich beweisen können, dass sie einen weiteren Punkt auf ihrer To-Travel-Liste abgehakt haben.

Machu Picchu: Warten in der Fotoschlange.
Machu Picchu: Warten in der Fotoschlange.

Während ich da so sitze und das Paar im Sonnenuntergang beobachte, gehen mir diese Gedanken durch den Kopf, und ich frage ich mich, ob ich es nicht genauso mache. Schließlich gehe ich nicht oft ohne meine Kamera aus dem Hostelzimmer, halte immer die Augen auf nach einem besonderen Moment, den es sich lohnt, fotografisch festzuhalten. Aber den besonderen, einzigartigen Moment, denke ich mir, entdecke ich nicht einfach so. Vielmehr muss ich mit viel offeneren Augen durch die Straßen laufen, meine Umgebung viel aufmerksamer wahrnehmen, verschiedene Winkel und Positionen ausprobieren, um den Moment festzuhalten, wie ich ihn wahrnehme, um mit meinem Foto eine Geschichte erzählen zu können. Dazu muss ich Situationen und Menschen beobachten, mit ihnen kommunizieren, eintauchen in meine Umgebung. Und oft finde ich es einfach nur anstrengend, auf Menschen zuzugehen, immer freundlich zu sein, Sprachbarrieren mit Händen und Füßen zu überwinden, nach dem perfekten Motiv zu suchen. Dann setze ich mich in ein Café, packe die Kamera weg, konzentriere mich für eine Weile auf mich selbst. Meist bleibt die Kamera dann für den Rest des Tages in der Tasche. Aber auch dann sammle ich noch Bilder. Solche, die ich für mich in meinem Kopf festhalte und von denen ich später erzählen kann. Ich gebe zu: Dahin musste ich erstmal kommen.

Erinnerungen bleiben – auch ohne Foto

Mein Spanischlehrer Alex in Chile hat unseren Unterricht an einem Tag kurzerhand in einen Ausflug umgewandelt. Gleich bei unserem ersten Stopp in der Nähe von Puerto Montt war ich einen Moment unaufmerksam. Die Kamera fiel mir aus der Hand, die Mattscheibe löste sich aus ihrer Verankerung, Fotos zu machen, war für den Rest des Tages unmöglich. So stampfte ich wütend mit dem Fuß auf, als wir auf dem Weg hinauf zum Vulkan Osorno bei einem Zwischenstopp kleine Füchse entdeckten. „Nun habe ich keine Kamera“, sagte ich zu Alex, war traurig über mein Missgeschick und dass ich diesen schönen Moment nun nicht bildlich festhalten konnte. „Hey“, sagte er, sah mich aufmunternd an und legte die Hand auf sein Herz: „Hier bleibt diese Erinnerung immer bei dir.“ Recht hat er. Noch immer sehe ich den kleinen Fuchs vor mir, der sich in der Sonne zu einem Ball zusammengerollt hatte und selig vor sich hin schlummerte. Diese Erfahrung hat mir gezeigt: Ich muss nicht alles bildlich festhalten – auch, wenn das für eine Fotografin keine leichte Aufgabe ist. Es ist total schön, einfach nur so Menschen, Tiere, Szenen zu beobachten. Wenn mir die Kulisse gefällt, kann meistens nochmal mit der Kamera zurückkommen, wenn ich dazu Lust habe. Und wenn nicht, dann bleibt sie eben eine Erinnerung in meinem Gedächtnis.

Tränen gelacht

Das Smartphone darf auch in der Wüste nicht fehlen.
Das Smartphone darf auch in der Wüste nicht fehlen. Sahara, 2018.

Zum Abschluss meine Lieblings-Insta-Girl-Geschichte aus Marokko, die ich gemeinsam mit meiner Freundin Sandra erlebt habe. Wenn wir heute darüber sprechen, lacht sie noch immer so sehr, dass ihr die Tränen in die Augen kommen, sie kaum mehr Luft bekommt und erstmal für ein paar Minuten nicht sprechen kann. Also: Vor knapp zwei Jahren waren wir gemeinsam in Marrakech – übrigens die Insta-Destination schlecht hin. Im Jardin Majorelle, der von Modedesigner Yves Saint Laurent angelegt wurde, gibt’s allein aufgrund der Farben, Blumen und Mosaike etliche Fotomotive. Die Mosaike hatten es auch einem Insta-Girl angetan. Mit zielstrebigem Schritt ging sie auf die in die Wand eingelassen Steinbank zu, platzierte ihr Markentäschchen mittendarauf, damit ihr ja niemand ihren Fotoplatz streitig machte, und rückte erst einmal die Haare zurecht. Ein prüfender Blick in ihren Taschenspiegel, ein paar Anweisungen an ihren Freund, und zack, warf sie sich in Position. Ihr Partner war sichtlich bemüht um ein gutes Foto. Ging einen Schritt zu Seite, einen nach hinten, einen weiteren nach hinten und… nach dem dritten Schritt konnten wir das Unausweichliche ahnen… fiel mit einem lauten Platsch in den hinter ihm gelegenen Fischteich, in dem die Goldfische ganz aufgeregt hin und her schwammen. Er war patschnass, die Kamera hatte er während seines Falls heldenhaft in die Höhe gehalten und vor dem Wassertod gerettet.

Wir standen eine kurze Sekunde wie versteinert da, schauten uns dann mit großen Augen an (Sandras Gesicht in diesem Moment werde ich wohl nie vergessen), rannten um die nächste Ecke, um dann laut loszulachen. In den vorhergehenden Tagen hatten wir uns zu oft amüsiert über Insta-Couples und was sie für das perfekte Foto auf sich nehmen. Übrigens: Dem Insta-Boyfriend ging es nach seinem Sturz gut, keine Verletzungen, und Menschen, die direkt neben dem Teich standen, haben ihm sofort herausgeholfen. Nicht, dass uns hier jemand unterlassene Hilfeleistung vorwirft. Aber ich gebe zu: Hier ist es unglaublich schade, dass ich diesen Moment nicht in einem Foto festhalten habe…

Selfie Time - Fotos zur Erinnerung und für die Daheimgebliebenen..
Selfie Time – Fotos zur Erinnerung und für die Daheimgebliebenen.
Der Wat Arun-Tempel in Bangkok ist der Selfie-Spot schlechthin.
Der Wat Arun-Tempel in Bangkok ist der Selfie-Spot schlechthin.

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