In ganz Thailand verlassen Mönche früh am Morgen ihre Tempel, um auf ihrem Rundgang Almosen gegen einen Segen für die spendenden Menschen zu sammeln. Während eines Vipassana-Retreats durfte ich mitgehen.
Es ist noch dunkel, als ich an diesem Morgen aufs Fahrrad steige. Die Atemluft aus meinem Mund formt kleine Wölkchen, werden angeleuchtet von der Stirnlampe, die ich über die Mütze gezogen habe. Schon nach wenigen Metern über den steinig-holprigen Weg und habe ich das Gefühl, meine Finger frieren am Lenker fest. Ich ziehe den Schal etwas enger um den Hals, trete fester in die Pedale, und der leichte Morgennebel über den umliegenden Wiesen zieht immer schneller an mir vorbei.
Wir wollen Phra Clyde treffen, um ihn auf seiner morgendlichen Almosenrunde zu begleiten. Einst war er Truckfahrer in den USA und arbeitete auf Öl-Farmen. Seit einigen Jahren ist er Mönch in Wat Sriboonruang in Fang und leitet dort das Meditationszentrum für Menschen aus den westlichen Ländern. Also für Menschen, die für eine Weile ungestört meditieren lernen oder die wie ich ihre Meditationspraxis vertiefen möchten.
Barfuß auf steinigem, kaltem Boden

An meinem letzten Morgen in Wat Sriboonruang hat Clyde einen Rolli unter seine Mönchsrobe gezogen. Er geht voraus, ich und zwei Meditationsschüler laufen in Reih- und Glied hinterher. Langsam gehen wir an der Straße entlang in Richtung Markt. Barfuß steht Clyde auf dem steinigen Boden, kalten Boden, wartet darauf, dass Menschen ihm Almosen geben gegen seinen Segen. Das ist ein Pali-Text auf monotonem Mönchsgesang, in Clydes Fall samt ganz eindeutig texanischem Akzent, denn dort kommt Clyde ursprünglich her.
Mönche dürfen nur Essen, was ihnen gegeben wird. In ganz Thailand ziehen sie morgens in ihren orangen Roben durch Städte und Dörfer, laufen wie wir jeden Morgen im Dunkeln an viel befahrenen Hauptstraßen entlang – selbst Mitten in Bangkok. Manche haben eine feste Route entlang der Privathäuser in der Nähe ihres Tempels – so wie die beiden Mönche auf Zeit, die mit uns um Retreat leben, und die wir morgens ebenfalls manchmal begleiten. Manche gehen zum nächstgelegenen Markt so wie Clyde. In jedem Fall ist der Buddhismus in Thailand unübersehbar.
Mitgegangen sind wir, weil auch wir Meditierende fast ausschließlich die Lebensmittelspenden der Menschen im Ort essen. Für uns eine großartige Erfahrung, denn Vieles ist frisch und zuhause selbst gekocht. Traditioneller thailändisch kann man wohl nicht essen.
Nach Mittag gibt’s kein Essen mehr

Vipassana bedeutet Vielerorts in absoluter Stille, völlig ohne Sprache und Augenkontakt mit Mitmeditierenden zu leben. Viele Stunden am Tag verbringen die Teilnehmer dort ausschließlich im Sitzen meditierend. In Wat Sriboonruang ist es glücklicherweise nicht so streng.
Dennoch haben wir uns zu Beginn unseres Aufenthalts den acht Richtlinien verpflichtet, die auch für Mönche gelten:
- Anderen Lebewesen keine Schmerzen oder Leid zufügen.
- Nicht stehlen.
- Keine sexuellen Aktivitäten.
- Nicht Lügen.
- Keinen Alkohol oder Drogen konsumieren.
- Nicht nach Mittag essen.
- Kein Entertainment, also keine Musik, Tanz, kein Schmuck, Parfüm oder anderes zur Verschönerung des Körpers tragen.
- Kein bequemer Schlafplatz
Für Mönche gelten noch einige Regeln mehr. Aber der Tag beginnt auch für sie um 5 Uhr morgens mit einem Chanting in Pali, 20 bis 30 Minuten Meditation, erneutes Chanting, danach geht es auf die Pindabat-, die Almosen-Runde, anschließend Frühstück. Gegen 9.30 oder 14.30 Uhr gab es für uns eine weitere Gruppenmeditation von etwa einer Stunde, am Abend wieder Chanting und eine gemeinsame Meditation von 40 bis 50 Minuten, der Rest des Tages ist zur freien Verfügung mit Lesen und Meditieren – und zumindest ich bin danach todmüde ins Bett gefallen. Meditieren bedeutet nämlich nicht einfach nur rumsitzen und entspannen, sondern ziemlich anstrengend.
Achtsamkeit als Konzept des Buddhismus

Ich meditiere seit vier Jahren. Damit begonnen habe ich während eines Achtsamkeitskurses. Tägliche Übungen standen da auf dem Programm. Aber nach Ende des Kurses wurde die Zeit, die ich mir für das Beobachten meines Atems und meiner Gedanken nahm, weniger. Und irgendwann hörte ich ganz auf. Vor allem, weil während der Meditation Dinge hochgekommen sind, die ich dachte, für immer erfolgreich aus meinem Bewusstsein verbannt zu haben. Ich hatte regelrecht schiss, dass noch mehr Unterbewusstes freigesetzt würde, von dem ich eigentlich nichts mehr wissen will. Aber man kann eben nicht weglaufen vor seiner Vergangenheit. Sie gehört zu uns, prägt uns, macht uns zu den Menschen, die wir sind. Ein Spruch, den ich mal irgendwo gelesen habe, geht in etwa so: Wenn du glücklich sein willst, schwelge nicht in Erinnerungen, sorge dich nicht um die Zukunft, sondern konzentriere dich darauf, völlig in der Gegenwart zu leben. Das beschreibt Achtsamkeit. Und sie ist Konzept des Buddhismus.
In der Meditation macht man genau das: sich auf den Atem konzentrieren, realisieren, wenn wir in Gedanken abschweifen, Gedanken wertfrei beobachten, und dann die Aufmerksamkeit wieder auf den Atem zurücklenken. Achtsam sein eben. Und dabei die Dinge erkennen, wie sie wirklich sind. Die Vipassana-Meditation wie Phra Clyde sie lehrt beinhaltet zudem Touch-Punkte, auf die wir uns während der Meditation konzentrieren sollen.
Man soll sich den Geist vorstellen wie einen wilden Bullen, wird mir Phra Montri aus Chom Thong erklären, den ich auf Empfehlung von Phra Clyde hin einige Tage später in seinem Tempel besuchen werde. Erst werde er an einen Baum gebunden, dann sei er noch ganz wild – so wie die Gedanken im Kopf von Meditationsanfängern. Aber irgendwann werde der Bulle müde und gebe schließlich auf – die Gedanken während der Meditation werden weniger.
Den Geist zähmen wie einen wilden Bullen

Die Gedanken werden weniger. Aber sie werden auch klarer. So habe ich es zumindest erlebt. Ich bin froh, dass wir in Wat Sriboonruang sprechen durften. Neben einigen anderen Teilnehmern habe ich unter anderem Paul aus Deutschland und Nadeem aus den USA kennengelernt. Beide haben mich sehr beeindruckt, waren zuvor schon einmal in Wat Sriboonruang. Paul war im vergangenen Jahr drei Monate lang Novize und hat sich entschlossen, Mönch zu werden. „Noch nicht jetzt“, sagt er. Erst wolle er noch reisen und einiges erleben. Und auch wenn gerade in Thailand viele junge Männer oft ihren Familien zuliebe Mönche auf Zeit werden, so sieht sich Paul mehr verpflichtet. Wenn er Mönch werde, wolle er das aus voller Überzeugung und dauerhaft tun, sagt er.
Nadeem lebt irgendwo in den Kalifornischen Wäldern in einem Holzhaus, verbringt den überwiegenden Teil des Tages mit Meditation und Thai Chi und reist viel, um berühmte Lehrer zu treffen. So konnte ich nicht nur mit Phra Clyde über meine Meditation sprechen, sondern auch mit Nadeem und Paul. Ein unglaubliches Geschenk, das mir ganz neue Perspektiven und einen anderen Blick auf die Dinge eröffnet hat.
Als wir an meinem letzten Morgen unsere Almosenrunde beenden, gibt Clyde mir seinen Segen mit auf den Weg, sagt, dass ich jederzeit wieder willkommen bin und er so lange mein Lehrer sein wird, wie ich das wünsche. Am Mittag verabschiedet sich Phra Maha Dr. Apisit, der Abt des Klosters, persönlich von mir. Ich verpflichte mich, fünf der acht Richtlinien beizubehalten (Regeln 3, 6 und 8 fallen weg). „Im Buddhismus sagen wir nicht Goodbye“, erklärt er und sagt deshalb: „Ich wünsche dir eine wundervolle Reise.“
Die Dinge sehen, wie sie wirklich sind

Immer nach einer längeren Zeit an einem Ort lässt man ein Stück von sich selbst zurück. Aber man nimmt auch etwas mit. Ich nehme diesmal besonders viel mit. Eine unglaubliche innere Ruhe, einen – wie ich finde – wachen Blick, eine offenere Haltung gegenüber den Dingen und dem Wunsch, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind – unabhängig von meinen Prägungen und Erwartungen. Bis mir das gelingt, ist es noch ein weiter Weg.
Zwischen Wäschekörben voller Salat, Tüten mit mir unbekanntem Grün und Reisetaschen verlasse ich Fang in einem kleinen Van. Irgendwer sitzt im Gang. Und nach einer Weile Fahrt teilen wir uns drei Sitze zu viert, währen ich die letzte Waffel mit Kokosstückchen essen, die ich am Morgen an dem kleinen Stand neben dem Tempel gekauft habe. Die Dinge so sehen, wie sie wirklich sind, geht mir durch den Kopf – und dieser Satz sollte mir in den folgenden Wochen noch mehrfach begegnen. Aber erstmal geht es nach Chiang Rai.

